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Die Ortschronik von Reinhard Kuhlmann - Seite 363

An meiner Gemeinde erlebte ich vorläufig lauter Wohlgefallen.

Zwischen meinem Vorgänger (Pfarrer Schmaltz) und Wildendorn war der offene Kriegszustand ausgebrochen wegen der Einführung des neuen Gesangbuches. Er ging zu "proforsch" vor bei der Abschaffung des alten Gesangbuches, das neben der Bibel auf einem Schaft stand... Seitdem gestaltete sich der gottesdienstliche Gemeindegesang aus zu einem Sängerkrieg. Außer dem alten und neuen Gesangbuch war auch noch als Übergang das Militärgesangbüchlein eingeführt worden. So sangen die Wildendorner aus 3 verschiedenen Büchern. Es war ein Bild! Jeder hielt sein Buch in den Fäusten und suchte seinen Text zum Sieg zu verhelfen. Es gab hochrote Köpfe... und glich einer Rauferei. (Der Dekan riet: "Ruhendes nicht zu bewegen", er hielt die Wildendorner für "unbelehrbare" Querköpfe?) "Sie bleiben sogar beim Altardienst sitzen und behalten in der Kirche den Hut auf dem Kopf". Bei 2 Kirchenvisitationen hatte der Dekan ihnen ins Gewissen geredet (aber ohne Erfolg). Die Wildendorner blieben sitzen, als hätten sie Pech an den Hosen. Und den Hut lüfteten sie nicht, als fiele ihnen gleichzeitig der Kopf vom Gestell. Sie legten das dekanatliche "Ruhendes nicht zu bewegen" auf ihre besondere Weise aus... Auf der Viehweide lagen die runden Basaltsteine haufenweise herum, so hart, daß der Schlägel daran zerbrach. Die Rundstein hießen die "Wilden"... Und daraus hatte der Herrgott ihnen die Dickschädel gemacht." (Philippi urteilt hier nicht ganz recht, wie auch der Dekan. Die Breitscheider waren widerspenstig ihrem Pfarrer Schmaltz gegenüber, weil ders verkehrt anfing mit ihnen bezüglich der Einführung der neuen Bucher. Und was das Sitzenbleiben und das Aufbehalten des Hutes anbelangt, so war ihnen dies aus einer Zeit größerer Unkultur so zur Gewohnheit geworden, daß es nicht auf die bloße Ermahnung eines Fremden (Dekan) hin, der morgen wieder weitab war, mit einem Schlage als beseitigt gelten konnte. Daß die Breitscheider gar nicht diese Dickköpfe waren und sehr wohl vernünftigem Zureden zugänglich waren, zeigte sich ja sofort, als Philippi psychologisch [vom Standpunkt der Seelenkunde aus] richtiger vorging.) "Wir sind beide nicht gefragt worden, ihr und ich nicht! Aber wir haben nun die Uneinigkeit unter Vaterunser und Gottes Wort!" ... Ich sagte, ich sei erschrocken, als ich den Wildendornern Kirchengesang zuerst vernahm. Wenn einer von auswärts dazu käme, was sollte der von Wildendorn denken pp. (Die Leute lenkten ein.) Der Sängerkrieg war zu Ende. - Den Wildendornern auch den Hosenboden und den Hut zu lüften, wagte ich nicht... So hoch vermaß ich mich nicht, einen Wagen herumzuheben, auf dem die ganze Gemeinde Wildendorn saß. (und doch gelang ihm auch dieses)... Schon unterm Segen nahm ich wahr, wie der Bürgermeister Stoffels Hanjer die Winterkapp (die er, wie alle Rabenscheider, auch an Sommersonntagen trug) abnahm und sein strackhäriges Haupt entblößte... Noch auf dem Friedhof schrie mich der Krischer, der eine Stimme um alle vier Ecken hatte, an: "Pärrner, `s bleibt kaaner mih setze!" - So ließ sich meine Ehe mit den Wilden auf der hohen Dornheide erquicklich an trotz der üblen Vorhersagen... Ich erfuhr auch, daß bisher keiner an meiner Predigt Anstoß nahm. Sie merkten wohl einen Unterschied (gegen meinem Vorgänger): "He bringts annerschder vir!"

Die hochzeitliche Sommerfrische war vorüber; jetzt erst lernte ich das Ödland kennen. Vom Höllkopf (Barstein) her trieben starke Winde dunkle Wolken wie eine Kuhherde mit hängenden Bäuchen herzu. Mit wagrechten Besenstrich kehrte mich eiskalter Regen ab und durchnässte meine vorwärtsstrebenden Knie. Die "Wäller Luft" pfiff mir um die Ohren... Die Wildnatur draußen ließ die letzte Rücksicht fahren gegen einen hochgebornen Stadtherrn. Sie benahm sich so schroh..., als wär sie für sich allein und behandelte den Mensch. nicht als Hauptperson, sondern als lästiges Zubehör wie die Raben... Über Nacht rasselte ein großes Wüsten über alle Schiefersteine an der Wetterseite... Woost benannten es die Wildendorner. Sie fanden sich damit ab, daß der Woost von alters so seine Gewohnheit hatte... Was überstark war, ließen sie sich über den Buckel rutschen.... Die Wildendorner waren schon von der Wildheit gefressen und keine Beute mehr. Hohnvoll sah ich's voraus, daß es mir ebenso erging. ... Es war schon bei mir bestellt, daß ein verborg. Hintersinn es auf mich abgesehen hatte, mir mehr als die Haut mit rauher Bürste zu bearbeiten.... Ich befand mich in einer geistlichen Krisis, welche die von mir verachtete Wildnatur unmenschlich betrieb, bis ich unter Schmerzen anfing, in der schrankenlosen Wahrhaftigkeit der Heide die Ehrfurcht zu grüßen. - (Im Schneesturm ein Besuch bei seinem Herzensbruder, dem Pfarrer Encke in Hasselbach, dem es ebenso ergangen hatte. Der belehrt ihn: ) "Siehe, hier auf unsrer hohen Heide ist alles unverbildet und echt, obs lind oder rauh ist. Alles ist bei sich. Jeder Baum sagt: Ich hehle nicht, was ich bin! Und der Woost weht unter den Wolken wie der allmächtige Geist. - Wir aber machen ihn (den Allgeist) klein mit unserm Geplapper vom lieben Gott = Großvater. - Der Baum spricht: "Wage zu sein, was du bist, ein Mensch allerwege!"

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von Kornelia Pelz übersetzt

 

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zitiert aus dem "Herborner Tageblatt"

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