Wie ein fremder Breitscheid in 1916 beschreibt.
Breitscheid.
Von Reinhold Wegener, Kuhhirte und Poet dazu.
(Das Gedicht ist gerade kein Kunstwerk, aber es bringt manches Sachliche aus dieser Zeit. Auf dem Horn war der einarmige Hirt wenigstens ein Künstler; jeden Morgen lockte er mit munteren Weisen zum Austrieb des Viehs.)
Ein Örtchen hab ich mir erwählt
Zum ständ'gen Aufenthalt,
Wie rings mir keines mehr gefällt
Im ganzen Westerwald.
So weit ich auch durch Flur und Hag
Durchs Land gezogen bin,
Wo ich nur immer weilen mag:
Nach Breitscheid steht mein Sinn.
Dort lebst du froh und sorgenfrei
Wie nirgends in der Welt;
Mit Arbeit, welcher Art es sei,
Ist es dort gut bestellt.
So hast du täglichen Verdienst,
Was willst du weiter mehr?
Und wenn du's große Los gewinnst,
Wirst du noch Millionär!
Viel grüne Wiesen findest du
Und Weiden für das Vieh;
Und fruchtbar Ackerland dazu,
Not kennt der Bauer nie.
Fürs zweite findest du sodann
Ringsum die Wälder stolz;
Sie liefern billig jedermann
Zum Bau'n und Brennen Holz.
Auch ist der Reichtum riesengroß,
Den man bei schwerer Schicht
Tief aus der Erde finsterm Schoß
Bringt an das Tageslicht.
Man findet Ocker, weißen Ton
Und grüne Walkererd,
Auch Erzenerze grub man schon.
Und erst die Kohlen wert!
Und wenn du hörst, wie rings im Kreis
Der Schüsse Donner schallt,
Bricht man daselbst mit großem Fleiß
Den Kalkstein und Basalt.
Chamott' und feuerfeste Stein'
Erfreu'n sich großer Gunst,
Und Schüsseln, Töpfe, groß und klein,
Verfertigt man voll Kunst.
So herrscht dort rege Industrie,
Es blüht der Bauernstand,
Und gleichen Wohlstand sah man nie
Ringsum im ganzen Land. (?)
Auch die Kultur vermißt man nicht:
Auf Fortschritt stets bedacht,
Hat man im Ort elektrisch Licht
Bei Tage und bei Nacht.
Stets ist man um dein Wohl besorgt,
Drei Wirte zapfen Bier,
Und du bekommst sogar geborgt,
Fehlts mal am Gelde dir.
Und bist du gar solch armer Wicht,
Der nichts als Wasser säuft,
Verdurstest du hier auch noch nicht:
Die Wasserleitung läuft!
Auch legte man vom Dorf nicht weit
Jüngst eine Bahnhof an.
Vielleicht gibt es in spätrer Zeit
Sogar noch eine Bahn!
Dann hebt sich riesig der Verkehr,
Ich seh' den Rummel schon:
Von ringsum kommen Fremde her
Und schwelgen im Ozon.
Gemeindesteuern sind allda
Ein unbekanntes Wort, (!)
Und wer das Örtchen einmal sah,
Möchte' nimmer von ihm fort.
Drum hab' ich diesen Ort erwählt
Zu meinem Aufenthalt,
Weil es mir nirgends so gefällt
Wie hier im Westerwald.
1917 Volkszählung. Breitscheid hatte etwa 160 Häuser und 1016 Einwohner.
seite-228 - seite-230
von Kornelia Pelz übersetzt
|