nicht aufkommen. Wir hatten andere Gedanken. Meine Mutter suchte Bechtums Ferdinand, den nachherigen Bürgermeister, der ein Motorrad hatte, (damals eine Seltenheit) um ihn zu bitten, mir in Herborn von Dr. Schütz ein ärztliches Zeugnis zu holen, daß ich mich nicht stellen könne. Sie traf ihn in Hennings Haus, wo es laut herging. Gerne war er dazu bereit. Bald kam ein Reservist ... zu mir, weinte und sagte: "Die Schwarzen Schneiden mir den Hals ab!" Ich tröstete ihn, so gut ich konnte. Wie tauchen dann die Blicke ineinander beim Abschied, wenn so das Schicksal zwischen die Freunde tritt! Bei seinem Weggange dacht ich: Es ist gut, daß ihr nicht ahnt, welches Ringen das geben wird; in zwei Jahren werden sich die Völker noch in den Haaren liegen. Daß der Krieg über 4 Jahre dauern würde, wer hätte das geahnt. Niemand war im Dorf, der nicht von der allgemeinen Erregung erfaßt wurde; doch jeder nach seiner Art! Eine alte, reiche Bauernfrau (meine Nachbarin) jammerte: "Ach du, ach du, se werrn us doch net häiher komme!", weil sie ihr Haus und ihre Felder in Gefahr sah. Als aber unsere Helden draußen die Heimat (jahrelang) mit ihren Leibern deckten, da wurde diese Frau wieder in Sicherheit gewiegt, und sie verstockte ihr Herz wie einst Pharao, wenn er wieder Luft gekriegt hatte, und die sittliche Verpflichtung, für die Krieger oder ihre Angehörigen auch etwas zu tun, fühlte sie nicht in sich. Glücklicherweise waren solche Leute ganz vereinzelte Ausnahmen in der großen opferfreudigen Begeisterung der ersten Kriegszeit. - In der allgemeinen Aufregung wurden neben den notwendigen Maßnahmen auch solche getroffen, die bei ruhiger Überlegung unterblieben wären. Allerlei Gerüchte gingen um: in Gießen hätten Feinde Gift in die Wasserleitungen gestreut; ein feindliches Auto sei von Frankreich aus mit vielem Gelde unterwegs nach Russland, es sei anzunehmen, daß es die Hauptstraßen meide und den Weg auf Nebenstraßen über den Westerwald nähme u.s.w. Maßnahmen dagegen: Unsere Wasserleitung am Gusternhainer Weg wurde Tag und Nacht von bewaffneten Männern bewacht (meist Leute, die noch nie ein Gewehr in der Hand hatten!). In Willingen wurde das Sammelbecken der Wasserleitung mit schweren Baumstämmen verrammt. Als ob dem Feind daran gelegen sein könnte, ein Westerwalddörfchen zu vergiften, ausgerechnet Willingen! Um das vermeintliche Auto abzufangen, standen an den Ausgängen unseres Dorfes tagelang Posten. Ein Wagen wurde quer über die Straße gestellt. Deutsche Autofahrer kamen in Gefahr, totgeschossen zu werden. Als endlich die Behörde bekannt machte, daß kein feindliches Automobil mehr im Land sei, legte sich der Spuk auf dem Westerwald.
Inzwischen hatten die Krieger ihre wichtigsten Dinge geordnet. (Am Bußtag waren fast alle noch einmal in der Kirche) die meisten (wie auch ich) waren auf den 4. Mobilmachungstag einberufen. Dann kam das Abschiednehmen, und in den ersten Morgenstunden des 4. Tages fuhren zwei Wagen einen großen Teil der Einberufenen (etwa 40) nach Herborn (F). Sechs Kriegstrauungen fanden im Kirchspiel statt. Ein junges, schönes Paar, die Frau Brandenburger Hedwig in inniger Liebe miteinander verbunden, sah ich, dicht aneinander geschmiegt, den Erdbacher Weg hinab zur Bahn gehen. In diesen jungen Herzen mochte wohl der Abschied die tiefsten Wunden reißen. Der junge Mann (Bernhard) ist später gefallen, ebenso noch zwei kriegsgetraute Krieger. Einmal kam auf dem Wege zum Bahnhof in Erdbach auch ein Trupp junger Leute aus Gusternhain über Breitscheid. "In der Heimat, in der Heimat, da gibt's ein Wiedersehn!", so
F) Am 8. August Bußtag
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von Kornelia Pelz übersetzt
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